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Gute Berichterstattung

Das Bild, das sich die Öffentlichkeit von Menschen mit psychischen Erkrankungen macht, wird maßgeblich durch ihre Darstellung in den Medien geprägt. Fair Media bietet Hilfestellungen für eine diskriminierungsfreie Berichterstattung.

Fair Media heißt Verantwortung

Neben der persönlichen Betroffenheit ist die sachliche Information der Öffentlichkeit über psychische Störungen ein wichtiger Faktor, um das Verständnis für und die Akzeptanz von Menschen mit psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft zu fördern.

 

Eine sachliche, ausgewogene und differenzierte Berichterstattung sowie das Miteinbeziehen und Zu-Wort-kommen-Lassen der Betroffenen, der Angehörigen und der professionellen Vertreter von Psychiatrie und Psychotherapie können dabei helfen, dass sich das Bild vom „unberechenbaren Verrückten“ hin zum „Menschen mit einer psychischen Erkrankung“ und gleichberechtigten Mitbürger in unserer Gesellschaft wandelt.

 

Die Experten des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit stehen gerne für Interviews und Hintergrundgespräche zur Verfügung.

Es beginnt in der Redaktion

  • Wichtige Fragen vorab

    • Ist der Umstand, dass eine Person psychisch erkrankt ist, für die Berichterstattung überhaupt relevant?
    • Ist die psychische Erkrankung nachgewiesen?
    • Wird die Privatsphäre der betreffenden Person durch Aufdecken der psychischen Erkrankung verletzt?
    • Wie wirkt sich die Erwähnung der psychischen Erkrankung auf die betreffende Person selbst, ihre Angehörigen oder den Behandlungsprozess aus?
  • Stichwort Pressekodex

    Richtlinie 4.2: Recherche bei Schutzbedürftigen Personen

    Bei der Recherche gegenüber schutzbedürftigen Personen ist besondere Zurückhaltung geboten. Dies betrifft vor allem Menschen, die sich nicht im Vollbesitz ihrer geistigen oder körperlichen Kräfte befinden oder einer seelischen Extremsituation ausgesetzt sind, aber auch Kinder und Jugendliche. Die eingeschränkte Willenskraft oder die besondere Lage solcher Personen darf nicht gezielt zur Informationsbeschaffung ausgenutzt werden.

     

    Richtlinie Ziffer 8: Schutz der Persönlichkeit

    Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein.

     

    Richtlinie 8.6: Erkrankungen

    Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden gehören zur Privatsphäre. In der Regel soll über sie nicht ohne Zustimmung des Betroffenen berichtet werden.

     

    Richtlinie 8.7: Selbsttötung

    Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.

     

    Richtlinie 12.1: Berichterstattung über Straftaten

    In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

  • Die richtigen Worte

    • Sind die medizinischen und psychologischen Begriffe richtig verwendet?
    • Um welche psychische(n) Erkrankung(en) handelt es sich? Unter den Begriff „psychische Krankheiten“ fallen eine Vielzahl an Symptomen, Zuständen und Lebensveränderungen. Vermeiden Sie den Eindruck, alle psychischen Krankheiten seien gleich.
    • Sind die Formulierungen wertfrei? Beleidigungen, wie „Verrückte”, „Psychos“, „Wahnsinnige“, „Schizos“, „Irre“ etc. sollten nicht verwendet werden.
    • Wird der ganze Mensch beschrieben oder wird er nur auf seine Diagnose reduziert?Betroffene empfinden dies als stigmatisierend und diffamierend.
    • Dramatische Beschreibungen, die Mitleid erzeugen, sind zu vermeiden: „A wurde heimgesucht von …”, „A ist Opfer von …”.
    • Nicht transportiert werden sollte der Eindruck, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen grundsätzlich gewalttätig, arbeitsunfähig, unberechenbar, vertrauensunwürdig oder schwach sind. Nur weil eine Tat gewalttätig und schwer nachvollziehbar ist, bedeutet dies nicht, dass der Täter psychisch erkrankt sein muss.
    • Bei der Darstellung von Gewalttaten gilt es abzuwägen, welche Details zum Hergang wirklich relevant sind, um die Tat zu verstehen.
    • Eine psychische Erkrankung sollte nicht der Endpunkt des Artikels oder der Recherche sein
    • Wichtig ist auch, den Verlaufscharakter und die vielen Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten herauszustellen: psychische Erkrankungen sind nicht per se lebenslange Begleiter: Eine Person ist nicht „eine Schizophrene“, sondern eine „Person, die zurzeit wegen einer Schizophrenie behandelt wird“.
    • Wo immer möglich sollten Informationen über Telefon-Hotlines oder Anlaufstellen für Betroffene in die Berichterstattung mit aufgenommen werden.
  • Die richtige Bildsprache

    • Veröffentlichung nur dann, wenn eine ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen dafür vorliegt.
    • Realistisch bleiben: Wenige Menschen mit psychischen Krankheiten sind ungepflegt, verwirrt oder immer allein
    • „Zwangsjacken“ werden in der Psychiatrie nicht mehr eingesetzt!
    • Symbolik und Kontext beachten: Fenstergitter oder kahle Flure suggerieren schwere Straftaten, Bilder von Krankenhäusern können das Publikum zu dem Schluss führen, dass psychische Erkrankungen grundsätzlich im Krankenhaus behandelt werden müssen.
    • Machen Sie sich selbst ein Bild! Besuchen Sie Behandlungseinrichtungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen, wie beispielsweise psychiatrische Krankenhäuser oder Suchtkliniken. Diese sind heute architektonisch offener gestaltet – abweisende und abgrenzende Sicherheitszäune oder Mauern finden sich dort nicht mehr. Sie sind ausschließlich forensisch-psychiatrischen Maßregelvollzugseinrichtungen vorbehalten.

Betroffene und Angehörige als Interviewpartner

 

Viele Menschen, die eine psychische Erkrankung bei sich selbst oder bei vertrauten Personen erlebt haben, sind oft bereit, ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zu teilen. Dennoch kann es schwer sein, öffentlich oder vor einer fremden Person über derart persönliche Erlebnisse und Erfahrungen zu sprechen. Eine angemessene journalistische Gesprächsatmosphäre ist deshalb besonders wichtig.

  • Vor dem Interview

    • Achten Sie darauf, dass die Person sich wohlfühlt: Entscheiden Sie gemeinsam, wo das Interview stattfinden soll. Fragen Sie die Person, ob sie sich eine Begleitung wünscht.
    • Machen Sie deutlich, was das Thema des Gesprächs sein wird und welches Ziel Sie verfolgen: Geben Sie der Person die Möglichkeit, sich vorzubereiten, indem Sie ihr vorab die Fragen des Gesprächs schicken. Erklären Sie, welche Art von Gespräch (klassisches Interview, Hintergrundgespräch) Sie führen werden und wie die gewonnene Information weiterverwendet wird.
    • Planen Sie genügend Zeit für das Interview ein: Die Erfahrungen einer Person können komplex und schmerzhaft sein, und deren Beschreibungen benötigen häufig viel Zeit.
  • Währenddessen

    • Versuchen Sie, der Person nicht das Gefühl zu geben, sie sei „nicht normal“ . („Wann haben Sie gemerkt, dass mit Ihnen etwas nicht stimmt?“ ist zum Beispiel eine von vielen Betroffenen bereits als abwertend empfundene Frage. Neutraler könnte die Formulierung zum Beispiel lauten: „Wann sind die Symptome einer psychischen Erkrankung erstmals aufgetreten?“)
    • Versuchen Sie, sich an die Sprache des Interviewpartners anzupassen.
    • Schämen Sie sich nicht, wenn Sie etwas nicht wissen. Fragen Sie nach! Menschen mit einer psychischen Krankheit oder Menschen, die damit in engen Kontakt gekommen sind, sind meistens Experten, was ihre Erkrankung oder den Umgang damit betrifft.
    • Hören Sie aufmerksam zu und versuchen Sie, Interpretationen zu vermeiden: Wenn Sie etwas nicht verstanden haben, fragen Sie nach. Denken Sie sich nicht „Ihren Teil“.
    • Geben Sie der Person ausreichend Zeit zu antworten – besonders bei persönlichen Fragen, und akzeptieren Sie es, wenn Betroffene über manche Aspekte ihrer Erkrankung oder der damit verbundenen Ereignisse nicht sprechen möchten.
    • Seien Sie vorbereitet auf Überraschungen. Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht immer „völlig anders“, es kann also sein, dass Sie ein „Anderssein“ der Betroffenen suchen, das sich aber nicht eruieren lässt. Akzeptieren Sie dies und nehmen Sie es als Anlass zur Reflektion Ihrer eigenen Einstellungen (und ggf. Vorurteile) über Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sprechen Sie mit Kollegen und Kolleginnen über solche Erfahrungen und suchen Sie das Gespräch mit Fachleuten wie Psychiatern, Psychologen oder dem Aktionsbündnis Seelische Gesundheit, wenn fachliche Fragen offen bleiben.
    • Menschen mit psychischen Erkrankungen haben häufig Ungewöhnliches erlebt oder berichten für einen Außenstehenden schwer nachvollziehbare Gedanken oder Erlebnisse. Vermeiden Sie wertende Reaktionen, fragen Sie im Zweifelsfall nach und sehen Sie es als Zeichen des Vertrauens Ihrer Gesprächspartner Ihnen gegenüber, wenn diese Ihnen über solche Erfahrungen berichten. Zeigen Sie Ihre Wertschätzung dieses Vertrauens.
  • Danach

    • Ehrensache: Namentliche Nennung nur, wenn die interviewte Person ihre ausdrückliche Zustimmung gegeben hat und lassen Sie sich Zitate autorisieren.
    • Bemühen Sie sich, das individuelle Krankheitsverständnis der Person authentisch wiederzugeben: Versuchen Sie, wenn möglich, die Sprache der betroffenen Person zu verwenden. Hat die Person ein anderes Verständnis ihrer Krankheit als ihre Familie oder ihr Arzt? Versuchen Sie, diese Perspektive zu integrieren.
    • Informieren Sie die Person über die verschiedenen Medien (Print, Online-Plattformen: Websites, Soziale Netzwerke), in denen der Text zu lesen sein wird.

Psyche | Mensch | Medien: Thema Abhängigkeit
Eine Hilfestellung für Medienschaffende

 

Sucht oder Abhängigkeit? Die Sprachwahl zur Benennung von Abhängigkeitserkankungen ist im steten Wandel. Im Vordergrund sollte stets stehen, den Schaden für Betroffene zu minimieren. Gemeinsam mit Betroffenen, Journalisten, Abhängigkeitsexperten, Medizinern, Kommunikationswissenschaftlern und Psychologen wurde ein speziell auf Suchterkrankungen zugeschnittener Leitfaden erarbeitet, der Empfehlungen für eine angemessene und diskriminierungsfreie Medienberichterstattung enthält. Der Leitfaden ist das Ergebnis eines wissenschaftlichen Projekts und wurde 2019 mit dem Ulrike-Fritze-Lindenthal-Preis ausgezeichnet.

 

Download der Broschüre