„Jugendliche sind besonders anfällig für psychische Störungen“, betont Prof. Beate Herpertz-Dahlmann, Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Uniklinik Aachen. Dafür gibt es eine neurobiologische und eine gesellschaftliche Erklärung: „Zum einen baut sich beim Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenalter das Gehirn um. Zum anderen steigen die sozialen und schulischen Anforderungen, die an die Jugendlichen gestellt werden“, so die Expertin, die im Vorstand der Europäischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und in der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) tätig ist.
Die Heranwachsenden haben in der Zeit der Adoleszenz – so wird die „psychosoziale Pubertät“ zwischen dem 11. und 21. Lebensjahr bezeichnet – viele Aufgaben zu bewältigen: Sie müssen mit den massiven Veränderungen ihres Körpers zurechtkommen und ihre Geschlechtsrolle annehmen. Sie müssen sich langsam von ihren Eltern ablösen und einen Freundeskreis aufbauen. Es wird erwartet, dass sie eine Zukunftsperspektive und eine eigene Weltanschauung entwickeln. Sie müssen lernen, Grenzen zu setzen, sich zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen.
Auch das Gehirn macht in dieser Zeit rasante Entwicklungsschritte, um sich auf das Erwachsenenleben vorzubereiten: Nervenverbindungen, die wenig in Gebrauch sind, werden abgebaut, während häufig aktivierte neuronale Netzwerke sich optimieren. „Dabei entsteht ein Ungleichgewicht zwischen den kognitiven Kontrollsystemen und denjenigen Systemen, die mit Emotionen assoziiert sind“, berichtet die Kinder- und Jugendpsychiaterin. Es wird vermutet, dass das limbische System und das Belohnungssystem – beide sind für Emotionen zuständig – die Oberhand gewinnen über die Regionen im Stirnhirn, die Steuerungsfunktionen übernehmen. Dieses Ungleichgewicht erklärt möglicherweise neben vielen weiteren Gründen, warum Jugendliche psychisch so labil sind. Doch damit es zu einer psychischen Erkrankung kommt, müssen noch andere Faktoren, wie eine Veranlagung, schwierige Erlebnisse in der Kindheit, Einfluss von Gleichaltrigen oder bestimmte familiäre Strukturen und Belastungen hinzukommen.
Wachsender Leistungsdruck, der auf den Kindern lastet und gleichzeitig überforderte Eltern, die als Doppelverdiener oder alleinerziehend ihre Berufstätigkeit organisieren müssen – das kann mit dazu beitragen, dass die Jugendlichen aus dem Gleichgewicht geraten. Auch Trennung oder Tod von Vater oder Mutter, schwere Krankheiten oder Mobbing-Erfahrungen können ein Auslöser für seelische Krisen sein. Ob Handy und Computer die Jugendlichen unglücklich machen, ist umstritten. Der Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer beschwört die „Digitale Demenz“, so der Titel seines Bestsellers, und zitiert Studien, die zeigen: Je mehr die Schüler ihr Smartphone nutzen, desto ängstlicher, unzufriedener und depressiver werden sie. Andere Experten sehen es eher umgekehrt: Kinder, die psychische Probleme haben, flüchten sich möglicherweise immer mehr in die digitale Welt.