Psychische Erkrankungen bei Jugendlichen
Psychische Störungen im Jugendalter
Psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters teilen die Experten üblicherweise in zwei große Gruppen ein. Die sogenannten introversiven Störungen, wie Depressionen, Angstsyndrome oder Essstörungen kommen häufiger bei Mädchen vor. Mädchen verletzen sich auch häufiger selbst. Dagegen sind es meistens Jungs, die gegen Regeln verstoßen oder Kopf und Kragen riskieren, also zu sogenannten extroversiven Störungen neigen. Ein Abriss der wichtigsten Störungen:
Fast jeder fünfte Jugendliche leidet an einer Angststörung – die häufigste psychische Störung bei Heranwachsenden. Während Kinder am ehesten unter einer Trennungsangst leiden, handelt es sich bei Jugendlichen meistens um eine soziale Phobie. Die betroffenen Mädchen und Jungs fürchten, sich in bestimmten Situationen zu blamieren, zu versagen oder gedemütigt zu werden. „Ich kann weniger als die anderen“, „Die anderen merken, dass mit mir etwas nicht stimmt“, „Ich habe nichts zu sagen“ – das sind typische Gedanken, die sie quälen. Sie zeigen eine ausgeprägte Verlegenheit, Scham und Publikumsangst in Gegenwart anderer Menschen. Die Angst überdeckt alles andere, und die Jugendlichen ziehen sich unter Umständen vollkommen zurück.
„Viele betroffene Jugendliche berichten von einem verhängnisvollen Teufelskreis aus negativen Erfahrungen, Vermeidung, erneutem Versagen und zunehmender Angst“, sagt Prof. Beate Herpertz-Dahlmann, Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Uniklinik Aachen. Bei deutlicher Tendenz zum Rückzug sollten die Eltern reagieren. Ein Facharzt oder ein Psychologe kann in ausführlichen Gesprächen mit Eltern und Kind prüfen, ob es sich tatsächlich um eine krankhafte Angst oder um altersgerechte Ängste handelt. In einer Psychotherapie lernen die Jugendlichen, angstfördernde Gedanken zu erkennen und abzubauen.
Anhaltende Traurigkeit – das kann auch bei Jugendlichen ein Symptom einer Depression sein. Ein- und Durchschlafstörungen, Appetit- und Gewichtsverlust, ein Rückzug von Familie, Freunden, Hobbys sowie starke Selbstzweifel sind weitere Hinweise. Eine Depression bei Jugendlichen kann sich auch darin äußern, dass sie sich „langweilen“ oder ständig gereizt sind.
Etwa 10 bis 12 Prozent der Jugendlichen erkranken zwischen dem 14. und 24. Lebensjahr an einer Depression. Als spezifische Risikofaktoren gelten eine familiäre Belastung – also wenn nahe Angehörige wie Vater oder Mutter schon einmal unter einer Depression litten – oder ein sogenannter negativer kognitiver Stil: Das heißt, wenn die oder der Betroffene zu Hoffnungslosigkeit und pessimistischen Annahmen neigt, wie etwa „Mich mag niemand“ oder „Mir gelingt nichts“. Verlusterlebnisse, wie eine Trennung der Eltern oder Tod eines Elternteils, oder Ablehnung durch Gleichaltrige können eine Depression auslösen.
Wenn sich die Eltern Sorgen machen, können sie ihr Kind fragen, ob es sich manchmal einsam und unglücklich fühlt, ob es kaum noch Freude verspürt oder sogar schon mal daran gedacht hat, sich das Leben zu nehmen. Werden die Fragen bejaht, sollten die Eltern einen Facharzt oder einen Psychotherapeuten zu Rate ziehen. Die Internetseite von „Freunde fürs Leben e.V.“ (www.frnd.de), eine Initiative, die sich an Jugendliche und junge Erwachsene richtet, bietet neben vielen Informationen zu Depression und Suizidgefährdung auch einen Selbsttest an („Leidest du an Depression?“).
Vorsicht Suizidgefahr!
Viele Jugendliche denken vorübergehend an Selbstmord, ohne das ernsthaft vorzuhaben. Nichtsdestotrotz ist ein Suizid nach Unfällen die zweithäufigste Todesursache im Kindes- und Jugendalter und der überwiegende Teil der Selbsttötungen und Selbsttötungsversuche steht im Zusammenhang mit einer Depression. „Ich kann nicht mehr“, „Es hat alles keinen Sinn mehr“, „Ich falle allen zur Last“ – solche Anspielungen sind ernst zu nehmen. Eltern, Lehrer, Freunde sollten den betreffenden Jugendlichen darauf ansprechen, ohne „um den heißen Brei herumzureden“. Die Betroffenen sind oft erleichtert, wenn sie direkt gefragt werden. Wenn ein Jugendlicher unmittelbar von Suizid bedroht, aber nicht mehr über ein Gespräch erreichbar ist, sind Notarzt oder Polizei zu verständigen. Bei einer schweren depressiven Episode ist in den allermeisten Fällen aufgrund des hohen Suizidrisikos eine stationäre Behandlung in einem beschützenden Rahmen erforderlich.
Bei einer Essstörung denken viele zunächst an eine Magersucht. Doch Essstörungen umfassen drei klassische Krankheitsbilder: Neben der Magersucht (Anorexia nervosa) gehören noch die Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und die Binge-Eating-Störung (Essanfallsstörung) dazu. Gemeinsam ist allen drei Störungen, dass die Betroffenen aufs Essen fixiert sind. Ihre Gedanken kreisen nur noch um das eine Thema, das alle anderen Lebensbereiche überlagert. Sie machen ihr Selbstwertgefühl einzig und allein von Figur und Gewicht abhängig. Dabei nehmen sie häufig ihren Körper verzerrt wahr, was bei Magersüchtigen besonders auffällig ist: Selbst bei krassem Untergewicht empfinden sie sich als fett, unförmig und hässlich.
Von Essstörungen sind hauptsächlich Mädchen betroffen: bis zu einem Prozent der 14- bis 18-Jährigen leiden unter einer Magersucht, etwa ein bis zwei Prozent haben eine Bulimie. Die Binge-Eating-Störung scheint sich auf beide Geschlechter zu verteilen, etwa drei Prozent der erwachsenen Frauen und Männer sind erkrankt. Die Essanfallsstörung bei Kindern und Jugendlichen ist bisher noch wenig untersucht, es gibt allerdings Hinweise, dass insbesondere übergewichtige Jugendliche Essanfälle erleben, die sich nicht mehr kontrollieren können.
Diese Zahlen scheinen recht klein, doch die Übergänge sind fließend: In der sogenannten BELLA*-Studie, in der knapp 3.000 Jugendliche und deren Eltern befragt wurden, berichteten ein Drittel der Mädchen und immerhin auch 15 Prozent der Jungs von gestörtem Essverhalten, wie Diäten, Essanfällen, Erbrechen oder Missbrauch von Abführmitteln. Ein gestörtes Essverhalten ist auch deshalb ernstzunehmen, weil es mit einer schlechten Prognose auch für andere psychische Störungen verbunden ist. In der KiGGS**-Studie sagte über die Hälfte der 13- bis 14-Jährigen, sie wären gerne dünner.
Wenn ein Mädchen (oder auch Junge) eine strikte Diät beginnt, sich mit Kalorientabellen beschäftigt, Hauptmahlzeiten weglässt, ständig am eigenen Körper herummäkelt, können das erste Symptome sein. Eltern sollten sich nicht scheuen, ihr Kind darauf anzusprechen und ihre Beobachtungen mitzuteilen. Weil insbesondere Magersucht lebensgefährlich werden kann, sollten sie nicht lange versuchen, alleine damit zurechtzukommen, sondern bei einem Verdacht so schnell wie möglich professionelle Hilfe suchen. Bei auf Essstörungen spezialisierten Beratungsstellen wie Dick & Dünn Nordwest e.V. können sich Eltern und Betroffene Unterstützung holen: telefonisch oder per Mail, als Beratungsstunden, über Online-Foren oder Selbsthilfegruppen.
* BELLA = BEfragung zum seeLischen WohLbefinden und VerhAlten
** KiGGS = Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland
Es ist normal, dass Jugendliche gefährliche Situationen suchen und gesundheitsriskantes Verhalten ausprobieren. Darüber können sie Selbstwert und Identität stabilisieren. Doch wenn der Jugendliche sich selbst oder andere Menschen gefährdet, etwa indem er öfters exzessiv Alkohol trinkt oder sich ohne Führerschein hinters Steuer setzt, braucht er Hilfe. „Oft ist ein risikosuchendes Verhalten ein Symptom für eine andere psychische Störung“, betont Dr. Gundolf Berg, Vorsitzender des Berufsverbandes für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland (BKJPP) e.V. Ein Jugendlicher mit einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung etwa ist reizhungrig und sucht den Kick. Und ein Jugendlicher mit Depressionen drückt damit aus: Mir ist alles egal, ich kümmere mich nicht um mich. „Wenn ein Jugendlicher, der ansonsten in vielen Bereichen gut zurechtkommt, mal zu viel Alkohol trinkt oder unvorsichtig ist, dann ist das meistens noch nicht als Störung anzusehen“, so Dr. Berg. Doch wenn der Jugendliche wichtige Aufgaben in Schule oder Ausbildung vernachlässigt und trotz bestehender Probleme am übermäßigen Alkoholkonsum festhält, sollten Eltern zusammen mit ihrem Kind Hilfe suchen.
Alkoholkonsum in Zahlen
Exzessiver Alkoholkonsum ist ein risikosuchendes Verhalten und umgekehrt steigt unter Alkoholeinfluss das Risiko für riskantes Verhalten. So stehen beispielsweise ein Drittel aller Verkehrsunfälle bei den 15- bis 20-Jährigen im Zusammenhang mit Alkohol. Es ist bei Kindern und Jugendlichen die am weitesten verbreitete psychoaktive Substanz. Zwar ist in den vergangenen Jahren der Anteil Jugendlicher, die regelmäßig Alkohol trinken, zurückgegangen. Doch laut der sogenannten HBSC*-Studie gaben immerhin noch gut 28 Prozent der 15-jährigen Jungen und gut 15 Prozent der 15-jährigen Mädchen an, mindestens einmal pro Woche ein alkoholisches Getränk zu konsumieren. Laut der KiGGS**-Studie ist bei jedem sechsten Jugendlichen im Alter von 11 bis 17 Jahren ein riskanter Konsum festzustellen und 11 Prozent trinken mindestens einmal im Monat sechs oder mehr alkoholische Getränke hintereinander. Dieses Rauschtrinken, auch Binge-Drinking genannt, zieht sich durch alle sozialen Schichten und betrifft mehr Jungen, auch wenn sich die Geschlechter zunehmend angleichen. Eine Drogenberatungsstelle kann ein erster Anlaufpunkt sein.
* HBSC = Health Behaviour in School-aged Children
** KiGGS = Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland
„Ich wollte einen negativen Zustand beenden.“ Das nennen die meisten Jugendlichen, die sich selbst verletzen, als Hauptgrund für ihr Verhalten. Innere Spannungen abbauen oder quälende Gedanken beenden, das kann eine Funktion von selbstverletzendem Verhalten sein. Aber auch sich selbst wieder spüren, sich selbst bestrafen oder Zuwendung erlangen. Meistens schneiden oder ritzen sich die Jugendlichen mit Messern, Rasierklingen, Scherben oder Nadeln in die Haut von Unterarmen oder Händen, seltener in Bein oder Bauch. Aber auch Verbrennungen oder Verätzungen kommen vor. Die Betroffenen haben dabei nicht die Absicht, sich selbst zu töten.
Unerklärliche Schrammen, Narben, Schnitte oder Verbrennungen können Hinweise sein. Oder wenn die oder der Jugendliche viel Zeit auf der Toilette verbringt. Oder immer lange Ärmel oder Stulpen trägt, auch bei heißem Wetter oder beim Sport. Etwa ein Viertel bis ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler geben an, sich innerhalb des vergangenen Jahres schon einmal selbst verletzt zu haben. Etwa vier Prozent gestehen, es wiederholt zu tun. Selbstverletzendes Verhalten ist kein eigenständiges Krankheitsbild, aber ein Warnzeichen. Dahinter kann eine psychische Erkrankung stecken, wie z.B. eine Borderline-Persönlichkeitsstörung oder auch eine Depression oder Essstörung.
Wenn Jugendliche sich wie „Halbstarke“ benehmen, kann das in einem gewissen Umfang normal sein. Um Grenzen auszutesten und den eigenen Einfluss zu erkunden, lügen manche Jugendliche, begehen kleinere Diebstähle, suchen die körperliche oder verbale Auseinandersetzung. „Doch wenn Jugendliche wiederholt und heftig soziale Normen verletzen, muss man von einer Störung des Sozialverhaltens ausgehen“, sagt Dr. Gundolf Berg, Vorsitzender des Berufsverbandes für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland (BKJPP) e.V. Betrügereien, Körperverletzung, Erpressung – oft begehen Jugendliche dabei kriminelle Handlungen.
Der Jugendliche – meistens handelt es sich um Jungen – bekommt in einer Psychotherapie Anleitung, wie er sein impulsives und aggressives Verhalten kontrollieren kann. Auch die Familienbeziehungen, das Schulmilieu und die Peergroup, in der sich der Jugendliche bewegt, werden unter die Lupe genommen. Denn häufig besteht ein negativer Einfluss durch Gleichaltrige. „Vor allem wenn Jugendliche durch andere Beschwernisse oder Erkrankungen nicht erfolgreich sind, kann das Störungen des Sozialverhaltens begünstigen“, sagt der Psychiater für Kinder und Jugendliche. Er betont, dass sich hinter der Aggressivität häufig andere psychische Störungen verbergen, wie etwa eine Aufmerksamkeitsstörung oder depressive Verstimmungen. Dr. Berg: „Manche Jugendliche sind aggressiv, um ihre Traurigkeit nicht zu spüren.“
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